Je nach Zusammensetzung variiert die Farbe des Endproduktes. (Bild: Constanze Tillmann)
Kombucha-Leder – Verpackung aus dem Tee-Labor
Feyza İrem Çavuş, Zeynep Merve Mutlu und Zender Boutheina sind drei junge Visionärinnen, die die Welt ein bisschen besser machen wollen. Seit Anfang 2023 bilden sie ein engagiertes Team aus den Bereichen Industriedesign, Bioengineering und Wirtschaftsingenieurwesen. „Wir wollen zukunftsweisende Wege für das wachsende Problem der Lebensmittelverschwendung entwickeln“, erklären sie. Die doppelte Lösung für gleich zwei weltweite Probleme bietet laut ihrer Expertise der SCOBY-Biofilm in Form des Kombucha-Leders. Alles begann als Projekt der Initiative SAVE FOOD in Kooperation mit der Universität Bahçeşehir-Universität (BAU), Istanbul. Packoby heißt ihr Projekt, das bereits auf der interpack 2023 vorgestellt wurde.
Das kreative Trio arbeitet aktuell an Prototypen für Kombucha-Leder. Das innovative Material bietet großes Potenzial im Bereich der Lebensmittelverpackung und Industriedesign.
Natürlicher Gärprozess
SCOBY ist das Kürzel für symbiotic culture of bacteria and yeast (symbiotische Kultur von Bakterien und Hefe). Der Biofilm entsteht während des Gärprozesses von Kombucha, einem fermentierten Tee. Bis zu sechs Wochen dauert es, bis das Team das Endprodukt in Händen hält. Zu Beginn wird eine Nährlösung hergestellt und über eine Starterkultur von Kombucha mit notwendigen Bakterien und Hefen versorgt. Orangen dienen hierbei als natürliche Zuckerquelle. Abhängig vom weltweiten Produktionsstandort können auch Zuckerrohrabfälle oder Obstabfälle wie Äpfel oder Mangos genutzt werden. So besteht bei zukünftiger Produktion in größeren Mengen auch die Chance, die lokale Landwirtschaft zu unterstützen.
Mikroorganismen fermentieren den Zucker im Tee, Hefen wandeln Zucker in Alkohol und CO2 um, während Bakterien den Alkohol zu Essigsäure machen. Langsam entsteht eine schleimige Zellulose-Schicht, die im Laufe des Prozesses zu einem dicken, lederartigen Biofilm wächst. Zusätze natürlicher Farbstoffe und Pigmente aus Pflanzen, Obst und Gemüse – zum Beispiel Rote Beete für Rot oder Kurkuma für Gelb – verleihen dem Material die gewünschte Farbe. Ist die gewollte Materialdicke erreicht, wird der SCOBY-Biofilm aus der Flüssigkeit genommen. Eine regelmäßige Kontrolle des Prozesses ist wichtig, um Verunreinigungen oder Schimmel zu vermeiden. Am Schluss wird der SCOBY-Biofilm je nach geplantem Design in Formen gegossen und in kontrollierter Umgebung getrocknet. Danach ist das Kombucha-Leder fertig für weitere Verarbeitungsschritte bis zum Endprodukt.
Nachhaltiges Material als neue Marktoption
„Wir arbeiten gerade an Prototypen und diskutieren viele Ideen für unser SCOBY-Packoby“, erklärt das ambitionierte Trio. „Aber noch müssen wir zahlreiche Hürden nehmen, bis wir reale Marktchancen haben.“ Aktuell stehen die drei kreativen Köpfe in Verbindung mit lokalen Unternehmen, um konkrete Designansätze umzusetzen.
Eine der Fragen für langfristigen Erfolg ist es, wie die Produktion in größerem Maßstab wirtschaftlich und effektiv gestaltet werden kann. Auch zuverlässige Eigenschaften wie Festigkeit und Flexibilität sowie die Haltbarkeit der SCOBY-Biofilme müssen weiter verbessert werden, um mit herkömmlichen Kunststoffen konkurrieren zu können.
Die Vorteile des innovativen Materials liegen klar auf der Hand. Die Kosten für das Ausgangsmaterial – Tee- und Zuckerrohrabfälle oder Orangen – sind gering. Im Vergleich zur Produktion von herkömmlichen Kunststoffen wird deutlich weniger Energie gebraucht. Die Materialien sind vollständig kompostierbar und belasten die Umwelt nicht mit giftigen Rückständen. Das lederartige Material kann Lebensmittel länger frisch halten. Zudem hemmen seine natürlichen antimikrobiellen Eigenschaften das Wachstum von schädlichen Mikroorganismen, die den Verderb verursachen.
PACKOBY – Kombucha-Leder für mehr Nachhaltigkeit in der Welt.
Potenzial für die Zukunft
„Aber auch jenseits der Lebensmittelindustrie warten spannende Anwendungsfelder“, so die jungen Tüftlerinnen. „Wir haben zahlreiche Ideen, die wir gerade feinjustieren.“ Auch wenn sie noch keine Details verraten, lässt sich Zukunftspotenzial erahnen. Vielleicht gibt es bald Brillenetuis, Taschen aller Art, Lampenschirme, Möbelbezüge, Hüte und Jacken aus Kombucha-Leder. Auch hier weist das Material aus dem Tee-Labor im Vergleich zu Leder aus Tierproduktion deutliche Umweltpunkte auf: Es ist biologisch abbaubar, benötigt weniger Wasser- und Energieeinsatz bei der Produktion, entsteht ohne Chemikalien und vermeidet Treibhausgase aufgrund rein pflanzlicher Ausgangsmaterialien.
Gute Chancen für nachhaltige Verpackungen
Die Marktchancen für ausgereifte Produkte im Bereich nachhaltiger Verpackungen sind vielversprechend. Laut Umweltbundesamt betrug die weltweite Produktionskapazität für biobasierte und biologisch abbaubare Kunststoffe 2022 etwa 2,22 Millionen Tonnen. Im Vergleich dazu wurden im gleichen Jahr 390 Millionen Tonnen konventionelle Kunststoffe produziert. Bis 2029 wird erwartet, dass der Markt für biologisch abbaubare Verpackungen von 105,26 Milliarden US-Dollar in 2024 auf 140,66 Milliarden US-Dollar ansteigt, mit einer jährlichen Wachstumsrate von 5,97% (Quelle: Research Markets)
Überzeugungsarbeit im Wettbewerb
Trotz aller Pluspunkte haben es neue, vielversprechende Lösungen wie Packoby aus SCOBY-Biofilm nicht leicht. Letzten Endes geht es darum, wirtschaftliche Akteure und Verbraucher gleichermaßen von den Vorteilen neuer Materialien zu überzeugen.
Es braucht Unternehmen, die mit Blick auf eine nachhaltige Wirtschaft mehrere Jahre voraus denken, bereit sind für Investitionen und die Entwicklung standardisierter Produktionsprozesse. Auch Forschung und Entwicklung zum Beispiel von Sicherheits- und Umweltstandards sind wichtige Themen, die nur gemeinsam mit starken Partnern gestemmt werden können. Unternehmen müssen Kreislaufwirtschaftsmodelle implementieren, um im Fall von Kombucha-Leder systematisch Abfall wie beispielsweise Teereste oder Orangenschalen zu sammeln oder die Ausbildung von Arbeitskräften für das Management von Fermentationsprozessen anzustoßen.
Ambitionierte Startups brauchen Unterstützung
Auch Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen Informationen, um zu bewussterem Konsum ermutigt zu werden. Innovative Ansätze sind deshalb ebenfalls im Marketing erforderlich. Im Wettbewerb mit etablierten Anbietern erfordern zukunftsweisende Ansätze wie Verpackungen oder Produktdesign mit Kombucha-Biofilm klare Differenzierungskampagnen. All das kostet Geld. Alleine können Startups – egal wie ehrgeizig sie unterwegs sind – diese Aufgaben nicht lösen.
Das Trio blickt trotz vieler offener Fragen zuversichtlich nach vorne und hat Gespräche mit mehreren lokalen Unternehmen aufgenommen, die an nachhaltigem Produktdesign interessiert sind. „In Sektoren wie Konsumgüter, Mode und sogar industriellen Anwendungen besteht großes Potenzial an umweltfreundlichen Materialien. Packoby ist mehr als ein Produkt“, davon ist das junge Team aus Istanbul überzeugt. „Es ist ein Schritt in Richtung einer nachhaltigen Zukunft, die die ganze Welt braucht.“ Gemeinsam sind wir stärker als alleine – gemäß diesem Motto ist die kreative Gruppe offen für neue Kontakte und Erfahrungsaustausch in spezialisierten Netzwerken.