Erst werden Fleischbestellungen gesammelt, dann wird geschlachtet. So wird sichergestellt, dass 100 Prozent der Fleischportionen auch genutzt werden. Foto: Crowdbutching
Lebensmittelverluste und -verschwendung vermeiden
Dass Lebensmittel ein wertvolles Gut sind, wissen fast immer diejenigen am besten, die davon wenig besitzen. In westlichen Nationen sind das meist die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen; beziehungsweise deren Kinder. Sie kennen noch die Einmachgläser mit gekochtem Obst und Gemüse – ordentlich geschichtet im Kellerregal. Ob die eigene Ernte oder die des Nachbarn; nichts durfte verloren gehen oder verschwendet werden und gehörte genauso zur Esskultur wie das Restessen am Folgetag.
Eine Welt im Überfluss
In einer Welt des Konsumüberflusses mag das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln verloren gehen oder in den Hintergrund rutschen. Umso wichtiger sind nationale und internationale Initiativen wie SAVE FOOD, in denen sich die Messe Düsseldorf gemeinsam mit der Welternährungsorganisation (FAO) und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UN Environment) mit unterschiedlichen Akteuren aus Wirtschaft, Industrie, Gesellschaft und Politik zusammenschließt, um den Kampf gegen Lebensmittelverluste und -verschwendung in die Öffentlichkeit zu tragen und Gegenstrategien bzw. Lösungen zu entwickeln.
222 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in reichen Ländern verschwendet – das entspricht der gesamten Nahrungsmittelproduktion in Afrika südlich der Sahara. Projekte wie die der Bäckerei Lenert zeigen, dass aus alten Lebensmitteln leckere neue Produkte entstehen können. Foto: Bäckerei Lenert
Denn laut Angaben der Welternährungsorganisation FAO geht jedes Jahr ein Drittel der zum Verzehr produzierten Lebensmittel weltweit verloren beziehungsweise wird verschwendet. In Zahlen ausgedrückt, entspricht das einem Warenwert von etwa 990 Milliarden US–Dollar, in Gewicht gerechnet werden etwa 1.3 Milliarden Tonnen an Lebensmitteln pro Jahr nicht genutzt. Betroffen sind vor allem frische Produkte wie Früchte, Gemüse, Wurzeln und Knollen. Von ihnen gehen 40-50 Prozent verloren, gefolgt von Fisch mit 35 Prozent. Von den Getreideprodukten schaffen es etwa 30 Prozent nicht vom Feld auf den Teller; bei Ölsamen, Fleisch und Milchprodukten sind es noch 20 Prozent.
In die Öffentlichkeit geschafft haben es kürzlich auch einige Projekte aus Deutschland, die unter anderem beim Bundespreis für Engagement gegen Lebensmittelverschwendung 2018 ‚Zu gut für die Tonne!’ vom deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft prämiert wurden. In den Kategorien Handel, Gastronomie, Landwirtschaft & Produktion sowie Gesellschaft & Bildung haben von 152 eingereichten Bewerbungen 15 Projekte im Jahr 2018 das Rennen gemacht. Drei Förderpreise wurden für innovative Start-ups vergeben.
Was für eine Schnapsidee! Oder, wenn aus altem Brot hochprozentiger Brand wird. Foto: Kaisers gute Backstube
Von der Schnauze bis zum Schwanz
Unter ihnen ist ein Projekt aus Bayern mit dem Namen ‚Crowdbutching’, das mittlerweile auch britischen und niederländischen Kunden angeboten wird. Um weniger Fleisch zu verschwenden, werden Kuh, Schwein & Co. schon vor der Schlachtung verkauft. Online können Verbraucher die gewünschten Fleischpakete per Mausklick bestellen. Geschlachtet wird erst, wenn genügend Abnehmer zusammen sind. So wird Fleisch nicht im Voraus produziert und am Ende unnötigerweise weggeworfen.
Einem ähnlichen Prinzip folgt auch die Idee der 16-jährigen Berlinerin Annalina Landsberg ‚Deine Ernte’. In Deutschland gibt es über 30 Millionen Gärten. Oft genug kommt es vor, dass die Besitzer nicht wissen, wohin mit der Ernte – so auch in Landsbergs Garten. Damit die Produkte nicht verderben beziehungsweise unnötig entsorgt werden, können die Privatgärtner ihre Waren, ob frisch oder zum Beispiel als Konfitüre verarbeitet, auf der Onlineplattform regional anbieten.
Zum Sandwich oder Schnaps
Zwei weitere Initiativen, um Lebensmittelverschwendung und -verluste zu verhindern stammen aus dem Bereich Backwaren. Nicht verkauftes Brot wird hier zu Sandwichscheiben oder Brotbrand gemacht. Denn rund zehn Prozent der Backwaren in Deutschland – also mehrere Hundert Tonnen – werden im Durchschnitt nicht verkauft. Die Reste werden in der Regel nur in geringen Mengen an Tafeln abgegeben oder zu Paniermehl und Tierfutter verarbeitet. Das meiste landet immer noch im Müll.
In Europa und Nordamerika werden pro Jahr 95 bis 115 Kilogramm an Lebensmittel verschwendet oder gehen verloren. In afrikanischen Ländern südlich der Sahara und Südostasien sind es nur sechs bis elf Kilogramm. Foto: FAO
Nominiert in der Kategorie Landwirtschaft und Produktion wurde unter anderem die Bäckerei Dietz aus Niedersachsen. Sie bietet ihren Kunden zusammen mit der ‚Edelbrennerei Nordik’ Brotbrand an, der aus altem Brot gemacht wird. Etwa 80 Prozent der Retouren können auf diesem Wege weiterverarbeitet werden. Für die erste Destillation wurde über einen Zeitraum von zwei Wochen nicht verkauftes Brot in zehn Filialen gesammelt. Da die Produkte schnell schimmeln, wurde eigens für die Schnapsherstellung eine spezielle Lager- und Kühllogistik aufgebaut. Dieses Beispiel zeigt: Gute Ideen setzen sich fort. Denn bereits einige Jahre zuvor brachte die Bäckerei ‚Kaisers gute Backstube’ aus Baden-Württemberg zusammen mit der Meisterbrenner Franz Wild einen Brotbrand auf den Markt, den sie aus nicht verkauften Bäckereiprodukten herstellten.
Etwas weiter nördlich gelegen im Saarland hat man auch genug von der Brotverschwendung. Die Bäckerei Lenert aus Blieskastel macht in Kooperation mit den Produktentwicklern Markus Felchner und Udo Rössel aus altem Brot neue Semmelknödel. Das Besondere an ihnen ist: Sie sind nicht rund und kommen aus dem Wasser, sondern quadratisch und werden aus dem Backofen geholt. Innerhalb von einer Minute können die salzigen oder süßen Scheiben aus den unterschiedlichen Retouren zu Hause in der Pfanne gebraten und als leckere Beilage zu Fisch oder Fleisch serviert werden. Und für den Snack am Mittag oder unterwegs bietet die Bäckerei darüber hinaus die Semmelscheiben verfeinert mit Leberkäs, Kraut und süßem Senf als leckeren Sandwich-Snack für den kleinen Hunger an.